Klimawandel in NRW
Herausforderung für den Naturschutz
Angesichts der vorliegenden Klimaprojektionen ist eine besonnene Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen in allen gesellschaftlichen Bereichen dringend anzuraten und obendrein auch unausweichlich. Auch und gerade der Naturschutz wird sich mit dem Klimawandel, der neben und mit der Natur auch seine bisherige Arbeit und sein Selbstverständnis berührt, beschäftigen müssen.
In zwei Studien (Klimastudie NRW 2004; Fortschreibung 2006) wurden die Ergebnisse globaler Klimaprojektionen für NRW regionalisiert und bis zum Jahr 2055 berechnet. Die Daten sollen für Nordrhein-Westfalen noch einmal kurz zusammengefasst werden:
Es wird von einer weiteren Erhöhung der Lufttemperatur in der Region um Köln und am Niederrhein um bis zu 2 Grad bis 2055 ausgegangen. Für die übrigen Regionen NRWs werden höhere Werte um 1,5-2 Grad erwartet. Allgemein wird mit vermehrten Niederschlägen im Winter und einer Abnahme der Niederschläge im Sommer gerechnet, allerdings mit einer stark ausgeprägten regionalen Differenzierung. So wird eine prozentuale Erhöhung der Frühjahrsniederschläge (bezogen auf die Periode 1951-2000) in Westfalen um +20% genannt, während sie in der Nordeifel nur um +6% betragen soll. Für den Rhein und die anderen Flüsse NRWs wird mit einer Zunahme der Wasserabfuhr und damit auch der Hochwassergefahr im Winter gerechnet.
Auch Beginn und Dauer der Vegetationsperiode werden sich mit unterschiedlicher regionaler Ausprägung verändern. Bis 2055 wird mit einem stellenweise um 14 Tage früheren Beginn gerechnet. Als letzter Punkt sei noch das künftig häufigere Auftreten von sogenannten Ereignistagen (Sommer-, Tropentage, Starkregentage usw.) angeführt. Im Schnitt wird zum Beispiel für Sommertage (Tmax > 25,0°C) mit einer Zunahme um etwa 20 Tage und für Frosttage (Tmin < 0,0°C) mit einer Abnahme um die gleiche Anzahl gerechnet.
Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere, Lebensräume
Viele Tier- und Pflanzenarten verschieben bereits heute wahrnehmbar die Grenzen ihrer Lebensräume. Die Tendenzen weisen auf eine Arealerweiterung in Richtung Norden - was unter anderem für Gottesanbeterin, Helm-Azurjungfer und Stechpalme festgestellt wurde - und einen Rückzug in höhere Lagen hin. Für Mitteleuropa wird angenommen, dass bis 2050 durchschnittlich ein Drittel der höheren Pflanzenarten nicht "stabil" bleiben wird.
Welche Arten betroffen sein werden und in welchem Ausmaß, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht genau abschätzen. In NRW und anderswo scheinen jedoch besonders jene Arten gefährdet, die auf bestimmte Sonderlebensräume angewiesen, oder hochspezialisiert sind. Vor allem in Verbindung mit einer Uniformierung der Landschaft, werden diese Veränderungen jedoch für viele Generalisten, d.h. für Arten, die sich in vielen Lebensräumen zurechtfinden, von Vorteil sein. Und auch für bisher in Deutschland eher seltene, wärmeliebende Art wie den Bienenfresser oder die Feuerlibelle stellt der Klimawandel eine Chance dar.
Verhaltensänderungen sind bei Zugvögeln auch heute schon zu beobachten. So werden zum Beispiel die zunehmenden Überwinterungszahlen von Kurzziehern wie Kiebitz, Singdrossel und Hausrotschwanz in direkte Verbindung mit den vermehrt milden Wintern gebracht. Aber auch Pflanzen zeigen inzwischen einen viel früheren Blühbeginn als dies vor fünfzig Jahren der Fall war. Der Beginn der Apfelblüte hat sich für NRW im Zeitraum 1991-2005 im Vergleich zum Zeitraum 1961-1990 bereits um zehn Tage nach vorn verschoben und wird sich in den nächsten fünfzig Jahren wohl noch einmal um den gleichen Betrag verändern.
Heimischen Arten, die zum Beispiel von milderen Wintern profitieren, werden wohl zunehmen können. Die Anzahl der in der ökologischen Flächenstichprobe für NRW erfassten Brutreviere des Grünspechts hat sich von 1999 bis 2006 von 2.000 auf 12.700 mehr als versechsfacht. Auch diese Entwicklung wird mit zunehmend milden Wintern erklärt. Auch für viele Neobiota könnte der Klimawandel die wahrscheinlichkeit einer Etablierung erhöhen. Aber auch die Ausbreitung bisher unproblematischer Pflanzen kann durch den Klimawandel so gefördert werden, dass sie sich zukünftig zu Problemarten entwickeln. So wird die seit einigen Jahren beobachtete Ausbreitung des Jakobs-Kreuzkrautes unter anderem auch mit für die Pflanze günstigeren Verhältnissen durch den Klimawandel zurückgeführt.
Auswirkungen auf Arbeit und Selbstverständnis des Naturschutzes
Die beschriebenen Entwicklungen werden auch in den Regionen NRW´s Spuren hinterlassen und haben natürlich auch für den unmittelbar betroffenen Naturschutz Konsequenzen. Diese sind aber, aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Tragweite, bisher sowohl qualitativ als auch quantitativ nur unzureichend abschätzbar und vor allem nicht auf eine regionale oder gar lokale Ebene übertragbar. Man sollte mit entsprechender Vorsicht an kursierende Zukunftsszenarien herantreten. Gerade aber die Nicht-Vorhersagbarkeit der künftigen Entwicklungen mag ein Grund für die Verunsicherung sein, die der Klimawandel in der Gesellschaft und auch im Naturschutz hervorruft.
Trotzdem, oder gerade deshalb, darf dieser nicht in Schockstarre fallen, sondern sollte seinerseits Antworten formulieren. Der Klärungsbedarf auch auf Naturschutzseite ist global, aber auch regional, sehr groß, was nicht zuletzt auch durch die Vielzahl an Workshops, Vorträgen, Forschungsprojekten, die das Spannungsfeld Klimawandel und Naturschutz thematisieren, deutlich sichtbar wird. Der NABU beteiligt sich intensiv an dieser wichtigen Diskussion. Wichtig, da der Naturschutz mit seinen traditionell eher konservierenden und statischen Leitbildern von den durch den Klimawandel verursachten Auswirkungen und dynamischen Veränderungen besonders betroffen sein wird. Die daraus folgenden Erschütterungen könnten also für Selbstverständnis und Arbeitsalltag des Naturschutzes erheblich sein.
Wie immer gibt es neben vielen Fragen nur wenige Antworten:
Werden nicht die theoretischen Klassifizierungen, mithilfe derer sich der Naturschutz bisher recht erfolgreich die Natur strukturiert hat, untergraben, wenn sich die Arealverschiebungen einer Vielzahl von Arten im vorhergesagten Maße vollziehen und die bisher typische Zusammensetzung bestimmter Lebensgemeinschaften nicht aufrecht erhalten werden kann? Die Beurteilung neu zusammengesetzter Lebensgemeinschaften dürfte aus naturschutzfachlicher Sicht mit fortschreitendem Klimawandel zunehmend schwieriger werden und die Frage stellt sich, ob zukünftig historische Ideale hierfür noch genug Orientierung liefern können oder ob man sich nicht zunehmend auch von dem vorhandenen qualitativen Zustand der Gemeinschaften wird leiten lassen müssen?
Die Erkenntnis, dass manche Arten mit speziellen, vom Klima abhängigen Ansprüchen, wohl nicht mehr zu halten sein werden, ist schmerzhaft und widerspricht sowohl bisherigen Anstrengungen und Ansprüchen des Naturschutzes, als auch internationalen Prioritäten. In diesem Zusammenhang muss intensiv über unser heutiges Verständnis von Schutzgebieten und Schutzgebietssystemen, die vor allem zur Erhaltung und Bewahrung von bestimmten Arten und Lebensräumen errichtet wurden, nachgedacht werden. Werden sie in Zukunft den genannten Ansprüchen noch gerecht werden können?
Der Klimawandel ist ein gesamtgesellschaftliches Problem mit teilweise tiefgreifende Auswirkungen auf viele Bereiche. Die sich entwickelnden Prozesse müssen vom Naturschutz aufmerksam und mit Weitblick verfolgt werden, um im Falle von Fehlentwicklungen rechtzeitig Stellung beziehen zu können. Dies ist auch deshalb dringend nötig, weil z.B. in der Forst- und Landwirtschaft, die Diskussionen um Anpassungsmaßnahmen schon voll entbrannt sind.