Beweidung schafft Artenvielfalt
Extensive Weidetierhaltung sollte wieder eine wichtigere Rolle einnehmen
Seit 8.000 Jahren prägen Nutztiere die Kulturlandschaften Mitteleuropas in der Tradition natürlich vorkommender großer Pflanzenfresser wie Auerochse und Wildpferd. Über die Jahrtausende schufen und erhielten Rinder, Schafe und Ziegen halboffene Landschaften mit großer biologischer Vielfalt. Und auch heute beherbergen extensiv beweidete Flächen eine immense und ganz besondere Artenvielfalt. Daher setzt sich der NABU für mehr extensive Beweidung in der regulären Landwirtschaftspraxis ein und betreibt eigene Beweidungsprojekte.
Die Kulturlandschaft, wie sie noch vor wenigen 100 Jahren aussah, hat mit der heutigen Agrarlandschaft wenig gemein. So gingen etwa Wald und Offenland früher nahtlos ineinander über, auch weil beide Bereiche beweidet wurden. Heute dagegen sind sie strikt voneinander getrennt. „Insbesondere in den letzten Jahrzehnten beobachten wir einen rasanten Rückgang der Biodiversität – und zwar vor allem im landwirtschaftlich genutzten Offenland“, sagt Eva Lisges, Landwirtschaftsreferentin beim NABU NRW. „Kühe auf der Weide sind in weiten Teilen des Landes ein seltener Anblick geworden. Sie werden heute oft ganzjährig im Stall gehalten.“
Buntes Grünland
Dabei gehören Weiden und Wiesen zu den artenreichsten Biotopen in Europa – sofern sie extensiv bewirtschaftet werden. Extensiv bedeutet, dass das Grünland nicht zu stark genutzt wird, also dass beispielsweise nur relativ wenige Tiere darauf leben, wenig gedüngt wird und auf Mähwiesen lediglich zwei bis drei Schnitte pro Jahr erfolgen statt wie in der intensiven Landwirtschaft üblich fünf bis sechs.
Etwa 1.000 der 3.600 in Deutschland vorkommenden höheren Pflanzen kommen ausschließlich oder überwiegend im Grünland vor, wobei der Begriff Grünland hier neben den typischen Wiesen und Weiden der Agrarlandschaft auch seltenere Biotoptypen wie Kalkmagerrasen, Borstgrasrasen sowie Feucht- und Nassgrünland umfasst. Dieses vielfältige Grünland bietet eine große Bandbreite an Lebensräumen für unzählige Insekten, Vögel und viele weitere Tier- und Pflanzenarten.
Beweidetes Grünland
Auf beweideten Flächen fehlen zwar im Vergleich zu den gemähten Wiesen einige trittempfindliche Arten. Dafür weisen sie aber eine Reihe von Strukturen auf, die für die Biodiversität eine bedeutende Rolle spielen. Ist die Tierzahl gut an die Fläche angepasst, bildet sich ein reiches Mosaik an unterschiedlichen Bereichen: An manchen Stellen wachsen die Gräser und Kräuter hoch, bleiben lange stehen und bilden Blüten und Samen aus. Im Winter quartieren sich in den vertrockneten Stängeln Insekten ein. An anderen Stellen fressen Weidetiere den Bewuchs so stark ab, dass kurzrasige Bereiche entstehen, wo Stare und Steinkäuze ihre Nahrung am Boden finden. Auch von den Trittspuren der Weidetiere profitiert die Natur: Offene Bodenstellen entstehen, die Lebensraum für Wildbienen, Laufkäfer und andere Tiere bilden und es spezialisierten Pflanzen erlauben, dort zu keimen.
Besonders bedeutend ist auch der Dung der Weidetiere. Sofern die Tiere nicht mit Parasitenmitteln behandelt wurden, entwickeln sich in ihrem Kot zahlreiche Insekten. Mistkäfer dürften die bekanntesten von ihnen sein. Von diesen Insekten wiederum sind unter anderem Vögel und Fledermäuse abhängig, denn sie erbeuten die Insekten als Nahrung für sich und ihren Nachwuchs.
Kühe als Klimakiller?
Den Vorwurf, dass Kühe dem Klima schaden, hält Lisges in dieser Absolutheit für zu undifferenziert: „Man sollte nicht alle Kühe über einen Kamm scheren. Es kommt sehr darauf an, wie sie gehalten werden und was sie fressen. So schneidet etwa die extensive Beweidung mit Blick auf den Klimaschutz sehr viel besser ab als die weit verbreitete intensive Stallhaltung.“
Zottelige Hochlandrinder sehen nicht nur robust aus, sie sind es auch. Auch weil sie relativ klein bleiben, sind sie für Beweidungsprojekte gut geeignet. Diese Feuchtweide wird mit Limousin-Rindern beweidet. Richtig sei, dass Wiederkäuer wie Schafe und Rinder Methan ausstoßen, das noch
deutlich klimaschädlicher wirkt als Kohlendioxid. Zudem wird bei der intensiven Rinderhaltung viel Kraftfutter eingesetzt, das erst aufwändig produziert werden muss und in Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion der Menschen steht. Kommen dabei wie üblich auch synthetische Düngemittel zum Einsatz, verbraucht das viel Energie und setzt Lachgas frei, ein noch viel stärkeres Treibhausgas als Methan. Daraus resultiert die klar negative Klimabilanz der intensiven Tierhaltung.
Anders sieht die Rechnung bei der extensiven Beweidung aus. Während viele negative Effekte von vorne herein wegfallen, weil weder Kraftfutter noch synthetischer Dünger eingesetzt werden, lagern Extensivweiden in vielen Fällen kohlenstoffhaltigen Humus im Boden an – Kohlenstoff, der somit der Atmosphäre dauerhaft entzogen wird. Das verbessert die Klimabilanz.
Vorteile fürs Tierwohl
Über die Bedeutung für die Biodiversität hinaus ist die Weidehaltung eine sehr tiergerechte Haltungsform. „Wenn Beweidung gut gemanagt wird, verbindet sie Tierwohl mit Naturschutz. Und zugleich entstehen hochwertige Lebensmittel“, sagt Lisges. „Dazu kommt, dass als Weiden auch Flächen geeignet sind, die aufgrund ihrer Topografie oder wegen der Bodenverhältnisse nicht anderweitig genutzt werden können, etwa als Mähwiese oder Acker.“
NABU für mehr Beweidung
Aus Sicht des NABU muss daher die Beweidung in der landwirtschaftlichen Praxis wieder eine stärkere Rolle spielen. Politisch setzt sich der NABU dafür ein, die Agrarsubventionen nicht an die Fläche, sondern an Leistungen für das Allgemeinwohl wie den Natur- und Klimaschutz zu binden. Die finanzielle Förderung der Weidehaltung gehört zu den dringenden Anliegen, die der NABU NRW an das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium NRW herangetragen hat.
Einige NABU-Untergliederungen haben darüber hinaus eigene Beweidungsprojekte auf die Beine gestellt, um dadurch vielen Arten das Überleben zu sichern. Sie bewirtschaften, entwickeln und erhalten so naturschutzfachlich sehr wertvolle Flächen.
Die Beweidungsprojekte sind ganz unterschiedlich. Das reicht von der Schafbeweidung einer kleineren Obstwiese bis hin zur Haltung von Rindern, Wasserbüffeln und Pferden in großem Maßstab. Diese Tiere leben dann oftmals ganzjährig auf großen Weideflächen. „Die NABU-Gliederungen sind mit viel Engagement und Fachwissen das ganze Jahr über in diesen Projekten aktiv“, sagt Lisges. „Der große Aufwand lohnt sich, denn für die Artenvielfalt sind Beweidungsprojekte eine enorme Bereicherung.“
In der Emsaue im Münsterland ist es unübersehbar, dass ganzjährig beweidete Gebiete Hotspots der Artenvielfalt sind. In den Kreisen Warendorf und Coesfeld betreut die NABU-Naturschutzstation fünf Beweidungsgebiete mit einer Gesamtgröße von 140 Hektar. Mehr →