Neue Wiesen rund um Köln
Neue Perspektiven für Tagfalter und Co.
Etwas kleines Blaues flattert von einem blühenden Hornklee auf, taumelt kurz im Wind, und lässt sich einen Moment später an einer anderen Pflanze nieder. Unverkennbar: Sie sind zurückgekehrt! In Köln ist die Freude über fliegende Bläulinge derzeit groß, denn die zierlichen Falter besuchen Flächen, die noch vor zwei Jahren aus einheitlich grünen Parkrasen bestanden. Wo bis vor kurzem die städtischen Mulchmäher fuhren und Spuren von zermatschtem Grünschnitt hinter sich herzogen, wogen nun Margeriten, Moschusmalven und Wilde Möhren im Sommerwind.
Artenreich und bunt
Die neuen „Stadtwiesen“, die der NABU Köln in Zusammenarbeit mit dem Kölner Amt für Landschaftspflege und Grünflächen angelegt hat, zeigen sich bereits im zweiten Jahr deutlich artenreicher und bunter, als der alte Rasen das konnte. Kein Wunder: Statt Zuchtformen von Weidelgras, Straußgras und Schwingel wachsen nun über 70 Wildgräser und -kräuter auf den Projektflächen. Etwa 40 Pflanzenarten der Mähwiesen wurden mit zertifiziertem Regiosaatgut zurück auf die Flächen gebracht. Andere Pflanzen, deren Samen noch im Boden schlummerten oder die in der Nähe wuchsen, nutzten ihre Chance und eroberten sich ihren Anteil an den neuen Wiesen. So hat sich so manche Ruderalart unter die Wiesenblumen gemischt, die zwar in Dauergrünland nicht vorkommt, aber in den ersten Jahren den Anblick bereichert. Manche dieser Arten, wie etwa die Weg-Distel oder die Färber-Resede, erfreuen dabei nicht nur die Passanten, sondern locken auch Tagfalter und viele weitere Tiere an. In den folgenden Jahren werden diese Begleiter den eigentlichen Wiesenpflanzen Platz machen. So manche Schönheit der Mähwiesen zeigte sich dabei schon im zweiten Jahr. Bei Schmetterlingen waren zum Beispiel die ersten Blüten von Acker-Witwenblume und Aufgeblasenem Leimkraut heiß begehrt. Und auch die Wiesen-Flockenblume ist ein beliebtes Anflugsziel.
Einfache Rechnung
Zwei Modellflächen hat der NABU in Kölner Stadtparks auf insgesamt 7000qm angelegt, weitere sollen in den nächsten Jahren folgen. Hinter der neuen Nutzung ehemaliger Rasenflächen verbirgt sich eine einfache Rechnung: Von den in Köln etwa 2800 Hektar Grünflächen (ohne städtischen Wald) werden in Parks und Grünanlagen nur ein Bruchteil von der lokalen Bevölkerung intensiv genutzt. Weite Areale dienen hingegen eher als Landschaftskulisse oder liegen peripher bzw. an Verkehrsinfrastrukturen. Viele dieser Flächen werden damit heute völlig umsonst intensiv mit häufiger Mahd und einem konstanten Einsatz von Maschinen und Personal bewirtschaftet. Mit einer verringerten Mahdfrequenz können diese Flächen ökologisch verträglich bewirtschaftet werden. Das würde nicht nur eine nachhaltige Aufwertung der lokalen Ökosysteme bedeuten und vielen heute selten gewordenen Pflanzen und Tieren des Offenlands neue Perspektiven bieten. Auch die Stadtbevölkerung würde in arten- und strukturreichen Grünräumen einen deutlichen Mehrwert an Lebensqualität erfahren. Studien der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, wie wohl wir Menschen uns in einer vielfältigen und lebendigen Umgebung fühlen: Blühende Wiesen mit flatternden Schmetterlingen sind in der Lage, Stress und seelische Belastungen abzubauen, das soziale Miteinander zu stärken und spirituelle Momente von Naturerfahrung und – ja – Lebensglück zu ermöglichen. Mit einer behutsamen Grünpflege in der Stadt tun wir damit nicht zuletzt uns selbst etwas Gutes.
Die Stadt als Hotspot der Artenvielfalt
Doch warum müssen gerade Städte heute Artenschutzbemühungen stemmen, wo sie doch vielfachen Herausforderungen ganz anderer Art gegenüberstehen? Städte wie Köln wachsen unaufhörlich, sie platzen förmlich aus allen Nähten. Wohnraum ist vielerorts Mangelware, ökologisch wertvolle Brachflächen werden zusehends überbaut. Zugleich heizen die menschengemachten Strukturen aus Stein, Beton und Asphalt das Stadtklima immer weiter an. Kann Artenschutz da nicht andernorts stattfinden, mag sich mancher fragen. Die Antwort auf diese Frage ist so simpel wie ernüchternd. Sie wird deutlich, wenn der Blick über die Stadtgrenzen hinaus auf die toten Agrarsteppen unserer Zeit schweift.
Die großen Städte erweisen sich immer mehr als Hotspots der Artenvielfalt. So wurden in Köln in den letzten Jahren bei intensiven Kartierarbeiten über 1500 Pflanzensippen gefunden – weit mehr, als das landwirtschaftliche Umland mit seinen endlosen geometrischen Monokulturflächen noch beherbergen kann. Doch schaut man sich die Flora der Städte näher an, wird schnell klar: Es sind nicht unbedingt die indigenen Pflanzen der alten Kulturlandschaften, die hier so prächtig gedeihen. Der Schmetterlingsflieder, ein ständiger Begleiter städtischer Biotope, ist ein gutes Beispiel: Zwar dienen seine ansprechenden violetten Röhrenblüten vielen häufigeren Schmetterlingsarten als Nektartankstelle. Schnell gelingen so auf städtischen Brachflächen Schnappschüsse von Tagpfauenaugen auf blühendem Schmetterlingsflieder. Doch gerade die auf Grünland spezialisierten Arten wird man dort kaum entdecken können. Bläulinge, Widderchen oder Scheckenfalter etwa sind eng an ihre Habitate gebunden und benötigen ihre ganz spezifischen heimischen Pflanzen als Nektarlieferant und Nahrungspflanze, an denen ihre Nachkommen heranwachsen können. Ein erfolgreicher Schutz dieser Schmetterlingsarten benötigt daher zwangsläufig intakte Grünlandlebensräume mit den passenden Schmetterlingspflanzen und kann nicht allein über die Anlage von Blühstreifen oder Blühmischungen für den Hausgarten erfolgen.
Geduld und nachhaltige Pflege
Wenn altes Grünland fehlt, müssen neue Wiesen und Weiden angelegt werden. In vielen Fällen sind die Verbreitungswege der Pflanzen bereits so gestört, dass sie kaum von allein auf die neuen Flächen gelangen. Konkreter Artenschutz bedeutet daher heute, dass der Naturschutz in manchen Fällen nachhelfen muss. Zum Beispiel mit Ansaaten, wo Pflanzen der Mähwiesen und Extensivweiden in der Umgebung fehlen. Es versteht sich von selbst, dass dabei mit großer Umsicht vorgegangen werden muss, damit kein Schaden entsteht. Klar ist dabei auch: Pflanzliche Vielfalt entsteht nicht von heute auf morgen, sondern benötigt Jahrzehnte. Da braucht es Geduld und nachhaltige Pflegevereinbarungen.
Doch noch etwas anderes ist klar: Selbst (oder gerade?) auf jungen Wiesen stellt sich oft erstaunlich schnell eine große faunistische Vielfalt ein. Jede dieser Stadtwiesen kann einen unmittelbaren Beitrag zur Wahrung der biologischen Vielfalt leisten. Und wer weiß? Vielleicht fliegen bald wieder Bläulinge durch Stadtviertel, wo sie lange nicht mehr gewesen sind. Heißen wir sie mit neuen Stadtwiesen willkommen!
Text: Volker Unterladstetter
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