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Jetzt spenden!Rückblick 2. Insektentagung 2019 in Münster
Aktionsprogramm Insektenschutz ein wichtiger nationaler Baustein
Der seit Jahrzehnten anhaltende Insektenrückgang, ist mittlerweile zum Synonym für den allgegenwärtigen Rückgang der Biodiversität geworden; ein Problem, das in den vergangenen Jahren immer mehr in den öffentlichen Fokus gerückt ist, das alle betrifft und von vielen Mitmenschen auch ganz persönlich wahrgenommen wird. Die mit rund 200 Teilnehmern ausgebuchte 2. NABU-Fachtagung zum Insektenrückgang am Institut für Landschaftsökologie in Münster bot ein Forum für Austausch und Diskussion über den aktuellen Kenntnisstand und zeigte mögliche Wege auf, den massiven Rückgang der Insekten zu stoppen.
Professor Dr. Norbert Hölzel vom Institut für Landschaftsökologie stellte in seiner kurzen Begrüßung kritisch fest, dass es aus wissenschaftlicher Sicht eher beschämend sei, dass solch eine Studie wie die Krefelder Studie zum Insektensterben vom Ehrenamt erstellt worden sei und verwies damit auf die zum Teil prekäre Situation an deutschen Hochschulen. Wissenschaftliche Aufgaben wie das Monitoring von Arten würden eben nicht finanziert. Die Forschung könne damit in Teilen ihrer Aufgabe, Grundlagendaten zur Verfügung zu stellen, nicht mehr gerecht werden. Er äußerte die Hoffnung, dass sich dies nun wieder ändern werde.
Die nicht zufriedenstellende Situation an den Hochschulen des Landes griff auch Josef Tumbrinck, Vorsitzender des NABU NRW, in seinem einführenden Vortrag „Herausforderung Insektenschutz“ noch einmal auf. Für viele Ordnungen gebe es kaum kundige Taxonomen, die Vielzahl der Insekten insgesamt sowie die große Zahl an Insektenarten innerhalb einer Ordnung sei selbst in Deutschland kaum zu fassen. In den weitgehend durchgetakteten Studiengängen unserer Hochschulen fehle schlicht die Möglichkeit der entsprechenden Ausbildung. Und damit fehlten die dringend notwendigen Experten, was in der aktuellen Situation eine wirkliche Beurteilung der Lage erschwere.
Dennoch gebe es seit den standardisierten Erfassungen des Entomologischen Vereins Krefeld keinen Zweifel mehr am Insektenschwund. Dies belegten auch die Roten Listen, die von deutschlandweit 33.000 bekannten Insektenarten gerade einmal 7802 Insekten berücksichtigten. Auf eine Darstellung der aktuellen Gefährdungssituation insbesondere der Insekten- und Vogelarten, folgte eine Analyse der Ursachen sowie die Zusammenstellung der Maßnahmen, die von der Politik sowohl auf europäischer Ebene wie auch bundes- und landesweit möglichst rasch umzusetzen seien. Es sei Zeit zu handeln. Dass dies auch in der Bevölkerung so gesehen werde, zeige das überwältigende Ergebnis des Volksbegehrens in Bayern. Diesen Schwung werde man in NRW aufgreifen.
Prof. Dr. Axel Hochkirch von der IUCN erläuterte in seinem Vortrag „Das Insektensterben - Ein internationales Problem" zunächst die globalen Zusammenhänge. Wirbellose stellten drei Viertel aller Arten. Von den geschätzten 1 Million Insektenarten auf unserem Planeten seien gerade einmal 10-20% beschrieben. Erschreckend – jeden Tag würden aber 30 bis 100 Arten aussterben und seien damit unwiederbringlich verloren. Eine von ihm zitierte Übersichtsstudie zu Untersuchungen über Insektenrückgänge weltweit (Sanchez-Bayo & Wyckhuys, 2019) untermauert, dass die intensive Landwirtschaft, Urbanisierung, Pestizide und Düngung hauptverantwortlichen für den massiven Artenschwund sind. Wie sein Vorredner betont er, wie wichtig die EU-Agrarreform als Stellschraube sei. Würde diese konsequent umgesetzt mit dem Ziel eine nachhaltige Landwirtschaft zu etablieren, könne man damit für den Erhalt der Artenvielfalt in Europa viel in Gang setzen. Auch Hochkirch betonte wie bedeutend die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei und äußerte zudem den Wunsch nach einem transdisziplinären Zentrum für Insektenschutz. Dies könne wichtige Impulse für effektivere Forschungsverfahren liefern.
Dr. Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld vervollständigte mit seinem Vortrag über die „Erhaltung der Biodiversität am Beispiel der Insekten als artenreicher Tierklasse“ den Reigen der Fachvorträge. Er wies zu Beginn noch einmal auf die hohe Artendiversität insbesondere bei den vier Insektenordnungen der Schmetterlinge, Käfer, Hautflügler und Zweiflügler in Deutschland hin. Bekannt davon seien in der Regel die auffälligen großen Arten, kleinere dagegen kaum. Damit müsse man sich aber beschäftigen, wolle man aussagekräftige Bewertungen zur Situation der heimischen Insekten treffen. Bislang würden circa 70% der heimischen Insekten in den aktuellen Roten Listen gar nicht erfasst und bewertet, weil sie nicht untersucht würden.
Im Folgenden berichtete Dr. Sorg aus seinem über Jahrzehnte aufgebauten Wissensfundus im Insektenmonitoring mittels Malaisefallen. Ein besonderes Defizit beim Einsatz von Fallensystemen sieht er in der fehlenden Standardisierung sowie der meist mangelhaften Dokumentation der Fallen, deren Aufbaus und der Auswertung der genutzten Verfahren und Techniken. Zudem werde die Umgebung der Fallen oft vernachlässigt. Verbesserungen mahnte Sorg beim Schutzgebietsmanagement an. Hier sei die Lage mit Blick auf deren Zweck, nämlich Lebensraum für bedrohte Arten zu sichern, katastrophal. So dürften Ackerflächen in Schutzgebieten in der Regel genauso bewirtschaftet werden wie außerhalb. Zudem fehle jegliche Transparenz bezüglich der hier eingesetzten Chemikalien. Eine Reform der Dokumentationspflichten zum Düngemittel- und Pestizideinsatz auf Ackerflächen sei daher dringend geboten.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze wies in ihrem an die Fachvorträge anschließenden Redebeitrag auf das geplante „Aktionsprogramm Insektenschutz“ als einen zentralen, nationalen Baustein bei den Bemühungen um den Erhalt der heimischen Artenvielfalt und damit auch der Insektenvielfalt hin. Sie wolle umfassend dafür sorgen, den Insektenrückgang aufzuhalten und neue Lebensräume zu schaffen. Ein solches Programm allein reiche aber nicht aus, um unsere Insekten erfolgreich zu schützen. Da bedürfe es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Landwirtschaft, Handel, Industrie und Naturschutz.
Der vollständige Redebeitrag der Bundesumweltministerin ist unter www.bmu.de zu finden.
Workshops und Diskussions-Café
Nachmittags wurden drei verschiedene Workshops sowie ein Diskussions-Café angeboten, deren Ergebnisse am Ende zusammengetragen und im Plenum präsentiert wurden.
Thema des ersten Workshops war die mögliche Ressourcenschonung durch Insekten als Futter- und Lebensmittel. Ingrid Bunker vom NABU Bundesverband führte mit Prof. Dr. Guido Ritter vom Institut für Nachhaltige Ernährung der FH Münster durch den Workshop. Vor dem Hintergrund einer nicht artgerechten Nutztierhaltung, des Einsatzes großer Mengen an Wasser und Fläche sowie dem hohen Ausstoß von Treibhausgasen während der Fleischproduktion, wurde der Einsatz alternativer Proteinquellen in Form von Insekten diskutiert. Insekten könnten daher eine ressourcenschonende Alternative darstellen. Wobei neben den Vorteilen in Haltung, Fütterung und Nachhaltigkeit auch Risiken mit der Insektenzucht verbunden seien, die mit bedacht werden müssten. Als Fazit des Workshops stand, dass ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden müsse, um effektive Veränderungen im Ernährungsbereich herbeizuführen.
Der zweite Workshop fand unter dem Titel „Die GAP – die letzte Chance Insekten zu retten“ statt. Hierzu hatte Sebastian Strumann vom NABU Bundesverband Heiko Schmied, Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, Karl-Heinz Jelinek, NABU Landesfachausschuss Entomologie und Dr. Martin Sorg, Entomologischer Verein Krefeld e.V., eingeladen. Gerade Probleme der bisherigen Agrarpolitik bestimmten die Diskussion im Plenum. Dazu gehörten u.a. Habitatverluste, Eutrophierung und das Fehlen von Brachflächen/-streifen, die gerade durch das vorherrschende Wachstumsparadigma weiter voranschreiten. Lösungen auf der politischen Ebene könnten die Neuverhandlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) dieses Jahr bringen. Hierzu wurden Vorschläge gemacht, die eine naturverträgliche Landwirtschaft fördern würden: die Finanzierung von Schutzmaßnahmen, ein Verbot von Chemikalien in Schutzgebieten, Pufferzonen und mehr Biodiversitätsberatungen für Landwirte.
Prof. Dr. Christoph Scherber vom Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster leitete einen Workshop zum Insektenmonitoring. Neben methodischen Fragestellungen zu klassischen Fangmethoden (Transektzählungen, Malaisefallen, Farbschalen), modernen molekularen Ansätzen (Metabarcoding) und Methoden der Bilderkennung, stellte er Strategien und Konzepte des Insektenmonitorings vor und diskutierte diese mit vielen Interessierten. Um ein effektives und einheitliches Monitoring zu ermöglichen, müsse in Öffentlichkeitsbildung und moderne Technologien investiert werden. Die Workshop-Teilnehmenden entwickelten in der Diskussion die Idee eines Netzwerks aus Bürgern, Landwirten und der Wissenschaft, um verschiedenste Habitate übergreifend untersuchen zu können. Des Weiteren müsse dem Wissensverlust um Insektenarten mit Bestimmungskursen, Citizen Science Koordination und Infrastruktur für Experten entgegengetreten werden.
Neben den drei Workshops wurde zusätzlich ein Diskussions-Café angeboten. An vier verschiedenen Thementischen konnten sich Interessierte informieren und mitdiskutieren. In Kleingruppen wurden die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, die Dringlichkeit der Umweltbildung, Gestaltungsmöglichkeiten der Natur im öffentlichen Raum und die Risiken der Lichtverschmutzung für Insekten behandelt. Betreut wurden die Thementische durch Daniela Franzisi (Öffentlichkeitsarbeit) vom NABU Bundesverband, Britta Linnemann (Umweltbildung) von der NABU-Naturschutzstation Münsterland, Carola Lehmann (Natur im öffentlichen Raum) vom Wissenschaftsladen Bonn e.V. und Werner Schulze (Lichtverschmutzung) Entomologe des NABU.
Die 2. NABU-Fachtagung bot den rund 200 Teilnehmern neben dem Austausch über den aktuellen Kenntnisstand zum Insektenrückgang vor allem Informationen und intensive Diskussionen über mögliche Wege, den massiven Rückgang der Insekten zu stoppen. Mehr →
Der NABU NRW warnt vor dramatischen Entwicklungen bei den heimischen Insekten. Untersuchungen in der Region zeigen, dass im Laufe von zwei Jahrzehnten große Verluste bei der heimischen Artenvielfalt mit weitreichenden Folgen zu beklagen sind. Mehr →