Artenvielfalt schützen
Forderungen zur NRW-Landtagswahl 2022
Der Verlust der Biologischen Vielfalt ist eine ernste Bedrohung für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten, die in ihren Auswirkungen der Klimakrise in nichts nachsteht. Unsere Lebengrundlagen, wie sauberes Trinkwasser, fruchtbare Böden oder frische Luft, hängen direkt von funktionierenden Ökosystemen ab. Auch wenn es in der Öffentlichkeit bisher noch nicht in ausreichendem Maße angekommen ist: Wir müssen uns dringend der drohenden Biodiversitätskrise stellen und umsteuern. Der Erhalt der Artenvielfalt, der Schutz vielfältiger Lebensräume und der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten sind seit über 120 Jahren Kernanliegen des NABU. Deshalb haben wir zu den dringendsten Aufgaben in diesem Bereich konkrete Forderungen an die politischen Akteure in unserem Land formuliert.
- Artenschutz
- Biotopschutz und Schutzgebiete
- Stadtnatur und ökologische Siedlungsentwicklung
- Fläche und Freiraumschutz
Artenschutz
Fast die Hälfte der hiesigen Tier- und Pflanzenarten steht auf der Roten Liste
Anhaltende Zersiedelung der Landschaft, Zerstörung natürlicher Lebensräume und die Auswirkungen intensiver Land- und Forstwirtschaft: Heute herrscht in Nordrhein-Westfalen eine nie dagewesene Bedrohung der heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Mehr als 45 Prozent der hiesigen Tier- und Pflanzenarten stehen auf der Roten Liste und sind in ihren Beständen gefährdet. Birkhuhn, Stör und Ackerkohl sind in NRW bereits ausgestorben. Frühere „Allerweltsarten“, wie der Feldhamster und der Kiebitz, oder Spezialisten wie die Gelbbauchunke drohen zu verschwinden. Nicht nur ein Umdenken, sondern gezielte Schutzmaßnahmen sind nötig, um die natürliche Artenvielfalt in NRW zu bewahren und für unsere Nachwelt zu erhalten.
Wir fordern:
- Artenhilfsprogramme als gezielte Schutzmaßnahmen zum Erhalt bedrohter Tier- und Pflanzenarten und Artengruppen (u.a. Fledermäuse, Feldhamster, Feld- und Wiesenvögel und Insekten), die auch für die Bewahrung von streng geschützten Lebensraumtypen, vom Aussterben bedrohter Biotope oder stark gefährdeter Pflanzengesellschaften aufgrund ihrer essentiellen Systemfunktionen eine entscheidende Rolle einnehmen
- gezielte Informations- und Aufklärungsarbeit zu bedrohten Arten und Artengruppen für Entscheidungsträger*innen und für die Öffentlichkeit
- ein Monitoring der Rückkehr von Beutegreifern (Wolf, Luchs, Wildkatze) inklusive Managementplänen, als Leitfaden für den Umgang mit diesen Tierarten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (Berner Konvention, FFH-Richtlinie)
- die Rückkehr zum Ökologischen Jagdgesetz mit einem Verbot der Jagd in Naturschutzgebieten mit einer Reduzierung der jagdbaren Arten auf ausschließlich solche Tierarten, die nicht bedroht sind, und einer Ausweitung von Jagdruheanträgen auf Flächen juristischer Personen mit Vereinfachung des Antragsverfahrens
- generelle Leinenpflicht für Hunde auch auf den Wegen in Natur- und Vogelschutzgebieten, in Wäldern sowie in unbefriedeten Park-, Garten- und Grünanlagen, die der Allgemeinheit zugänglich sind, zum Schutz für die dort lebenden Tierarten. Leinenpflicht während der Brutzeit (April bis Juli) in der gesamten freien Landschaft nach dem Vorbild Niedersachsens
- Aufstockung des Personals mit fachlicher Expertise im Bereich Artenschutz in den zuständigen Behörden sowie Wiederherstellung der Stabsstelle Umweltkriminalität
- die Einrichtung eines Fonds zur Finanzierung von Artenschutz-Gutachter*innen für artenschutzrechtliche Beurteilungen von Baugenehmigungen
Biotopschutz und Schutzgebiete
Qualitätssteigerung: Erhalt der Biologischen Vielfalt muss in Schutzgebieten uneingeschränkten Vorrang haben
Im Januar 2015 hat das Landeskabinett die erste nordrhein-westfälische Biodiversitätsstrategie verabschiedet. Trotz aller Schwächen wurde diese von den Naturschutzverbänden als deutlich positives Signal gewertet. Sie bildet eine gute Grundlage für das weitere Handeln. Zur Erreichung der dort verankerten Ziele bedarf es enormer Anstrengungen. Oberstes Ziel muss es sein, dem Erhalt der charakteristischen Biologischen Vielfalt eines Schutzgebietes uneingeschränkten prioritären Vorrang gegenüber jeglichen anderen Nutzungsinteressen zu geben. Eine Grundvoraussetzung für eine wirkungsvolle Naturschutzarbeit ist ein entsprechend ausgestatteter Landesnaturschutzetat. Er muss in den nächsten Jahren kontinuierlich erhöht werden bis auf 1 Prozent des gesamten Landeshaushaltes.
In der kommenden Legislaturperiode müssen dringend weitere Flächen dauerhaft für den Naturschutz gesichert werden. So sollten in strengen Schutzgebieten, wie Naturschutzgebieten (NSG) und Nationalparken (NLP) alle Flächen zielkonform entwickelt und bewirtschaftet werden. In den Schutzgebieten nach EU-Recht (Natura-2000-Gebiete nach Vogelschutz- und FFH-Richtlinie) steht die Umsetzung der Maßnahmenpläne zur Erreichung der jeweiligen spezifischen Schutzziele im Vordergrund. Der Ankauf von Flächen in Schutzgebieten und Pufferzonen einhergehend mit der Wiederherstellung eines naturnahen Landschaftswasserhaushalts und einer biodiversitätsfördernden Nutzung muss wieder eine größere Rolle im Naturschutz spielen. Für eine bessere Vernetzung der bereits vorhandenen Schutzgebiete ist die Einrichtung zusätzlicher Korridore erforderlich.
Mit einer Kombination dieser Maßnahmen stellt sich das Land auch auf den fortschreitenden Klimawandel ein. Eine entsprechende Klimaanpassung für Pflanzen und Tiere ist durch verbesserte Lebensbedingungen sowie die Schaffung von Wander- und Aus-breitungskorridoren (Biotopverbund) möglich. Mit dem flächendeckenden Netz der Biologischen Stationen hat NRW parteiübergreifend ein bundesweit vorbildliches Modell geschaffen, das die professionelle wissenschaftliche Beobachtung und Betreuung der Natur in Schutzgebieten gewährleistet. Dies gilt es konsequent zu stärken und auszubauen.
Gemäß der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) und der EU-Biodiversitätsstrategie müssen devastierte, aber für die biologische Vielfalt und das Klima bedeutsame Flächen, wie z. B. Moore, wiederhergestellt werden.
Wir fordern:
- die Umsetzung eines 100-prozentigen Naturschutzes in Schutzgebieten (inklusive Qualitätssteigerung, Abbau der Umsetzungsdefizite in den Behörden und der Berücksichtigung des Klimawandels/Klimaanpassung)
- die finanzielle Aufstockung des Landes-Naturschutzetats um 30 Millionen Euro jährlich bis dieser 1 Prozent des Landesetats beträgt (was durch EU-Mittel ergänzt werden kann)
- ein Verbot des Einsatzes von Pestiziden und Dünger in NLP, NSG, Naturmonumenten, geschützten Landschaftsbestandteilen, Natura-2000-Gebieten (FFH und VSG)
- die Schaffung von Pufferzonen mit mindestens 1000 Metern Breite rund um Naturschutzgebiete und Natura-2000-Gebiete. In diesen soll nach Grundsätzen des ökologischen Landbaus bewirtschaftet und weitgehend auf den Einsatz von Pestiziden und Düngemittel verzichtet werden (sollte nicht förderschädlich für Vertragsnaturschutz und Öko sein)
- die zeitnahe Umsetzung der Maßnahmenkonzepte in allen Natura-2000-Gebieten (Personalstärkung und Maßnahmenfinanzierung)
- die Übertragung von Naturschutzflächen an eine Naturschutzstiftung (wie bspw. National Trust) zur generationenübergreifenden Sicherung. Oder deren dauerhafte Verwaltung in offenen Landschaften durch eine Naturschutzstiftung
- den Erwerb wichtiger Naturschutzflächen, Korridore und Pufferzonen mit öffentlichen Mitteln oder Stiftungsmitteln
- die zusätzliche Vernetzung der vorhandenen Schutzgebiete durch Korridore mit wirkungsvoller Naturschutzvorrangfunktion auf Grundlage der bestehenden Planung des Biotopverbunds auf mindestens 20 Prozent der Landesfläche (Ausweisung als NSG)
- die ökologische Ausrichtung der Modellregion im Rheinischen Revier für eine nachhaltige Entwicklung und Bewirtschaftung
- Verwirklichung eines Nationalparks im Bereich Senne/Egge/Teutoburger Wald sowie weiterer Nationalparke
- ökologisch sinnvolle Renaturierungsmaßnahmen u. a. von Mooren, Auen, naturnahen Mischwäldern, Grünland sowie Gewässerrandstreifen
Stadtnatur und ökologische Siedlungsentwicklung
Hohe Biodiversität trägt in Städten zur Minderung der Klimawandelfolgen und zur Gesundheit der Menschen bei
NRW ist als das bevölkerungsreichste Bundesland besonders geprägt durch seine zahlreichen und durchgehenden städtischen Ballungsräume. Die Großstädte müssen sich den Herausforderungen der schlechten Luftqualität und den Folgen der Klimakrise mit Hitzeinseln, erhöhter Überflutungsgefahr durch Starkregenereignisse und der Zunahme von Dürren und Hitzewellen stellen. Aufgrund dieser Verwundbarkeit erlangt die Anpassung an den Klimawandel durch den Erhalt und den Ausbau grüner Infrastruktur im urbanen Raum und ein Weg zurück zu mehr biologischer Vielfalt höchste Priorität. Die vereinfachte Formel für die Stadtplanung in der Klimakrise lautet: mehr Grün – mehr Schatten. Auch in Städten gilt, dass eine erhöhte (Boden-)Biodiversität zur Minderung der Klimawandelfolgen und zur Gesundheit der Bevölkerung beiträgt.
Wir fordern:
- den besonderen Schutz von Grünflächen und urbanem Dauergrünland, von klimarelevanten Böden und von Frischluftkorridoren / Kaltluftleitbahnen / Kaltluftentstehungsgebieten vor Versiegelung
- finanzielle Förderung von grünen Korridoren, wie Grüngürtel und Biotopvernetzung, in Ballungsräumen mit besonderen Programmen
- die Entsiegelung privater, gewerblicher und öffentlicher Flächen zur Reduktion von Hitzeinseln (Leitbild Schwammstadt)
- die Aufnahme eines rechtssicheren Verbots von Schottergärten in der Landesbauordnung, Aufklärung und Angebote der Kommunen zum Rückbau vorhandener Schottergärten
- Eindämmung der Lichtverschmutzung
- die Verwendung und Nachrüstung von Glasflächen im öffentlichen Raum mit technischem Schutz vor Vogelschlag sowie die Schaffung von Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter (Animal Aided Design)
- finanzielle Förderung der Dachbegrünung gemäß Dachbegrünungskataster (LANUV)
Fläche und Freiraumschutz
Täglich gehen mehr als acht Hektar Fläche allein durch den Siedlungs- und Verkehrsbereich verloren
Als viertgrößtes Bundesland mit einer Fläche von rund 34.100 Quadratkilometern ist NRW zugleich mit rund 17,9 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste und zusätzlich das Land mit der höchsten Wirtschaftsleistung. Hieraus resultieren besondere Herausforderungen, um Ökonomie und Ökologie nachhaltiger zu gewichten. Die Endlichkeit von Flächen und Ressourcen rückt zunehmend ins öffentliche Bewusstsein und dennoch gehen täglich mehr als acht Hektar Fläche allein durch den Siedlungs- und Verkehrsbereich verloren – mit negativen Folgen für den Grundwasserspiegel, das Mikroklima, und damit die Auswirkungen des Klimawandels, sowie die CO2-Speicherfähigkeit der Böden. Neue Wohn- und Gewerbegebiete, Straßenbau, Tagebau, Kies-Abbau und andere Abgrabungen führen zum unwiederbringlichen Verlust vor allem von landwirtschaftlichen Flächen. Landschaften werden zerschnitten, angrenzende Lebensräume gestört. All dies führt unweigerlich zu irreversiblen Verlusten von Tier- und Pflanzenarten.
Wir fordern:
- die Absenkung des Flächenverbrauchs bis zum Jahr 2025 auf maximal fünf Hektar pro Tag und bis 2035 auf Null sowie keine weitere Neuversiegelung. Dies ist über ein digitales und nachvollziehbares, landesweit einheitliches Kataster umzusetzen, das bis spätestens 2023 implementiert wird.
- die Förderung doppelter/klimaangepasster Innenentwicklung unter besonderer Berücksichtigung von Frischluftschneisen und Stadtgrün mit Maßnahmen der Nachverdichtung, Erschließung von Industriebrachen (Flächenrecycling), Umnutzungen und Aufstockungen von Wohn- und Gewerbegebäuden
- ein landesweit einheitliches und öffentlich zugängliches Kataster für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
- ein Kataster über Kompensationsflächen und in Verfahren befindliche Flächen sowie ein Brachflächenkataster, um Transparenz und landesweit einheitliche Rahmenbedingungen mit verbindlicher Umsetzung zu schaffen
- die Reduzierung des Rohstoff-Abbaus durch restriktive Bedarfsprüfungen, Senkung der Abbaumengen, Eindämmen von Tabuzonen sowie einen naturverträglichen Rohstoffabbau durch Recycling und Einführung einer Primärrohstoffsteuer
Unsere Forderungen zur NRW-Landtagswahl 2022
mehr zur wahl
Die Landtagswahl ist wichtig für Natur und Umwelt: Die zukünftige Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat die Chance, bei der Klima und Biodiversitätskrise das Ruder herumzureißen – und so dramatische ökologische, soziale und finanzielle Folgen zu vermeiden. Mehr →