Fünf Jahre Stillstand sind genug
NRW-Naturschutzverbände fordern umweltpolitische Kehrtwende
29. April 2010 -
Eine „radikale Kehrtwende in der Natur- und Umweltschutzpolitik“ forderten die NRW-Landesverbände des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) sowie des Naturschutzbund Deutschland (NABU) heute in Düsseldorf. Nach „fünf Jahren Rückschritt in allen Feldern des Natur- und Umweltschutzes“ setzen die Verbände auf einen Politikwechsel. Gemeinsam repräsentieren BUND, LNU und NABU über 400.000 Mitglieder in NRW.
Paul Kröfges, BUND-Landesvorsitzender: „Dem Motto „Bewahrung der Schöpfung“ ist Schwarz–Gelb fünf Jahre lang nicht gerecht worden. Wir müssen feststellen, dass die Aussagen hierzu im Wesentlichen Lippenbekenntnisse waren - auf allen wichtigen Feldern der Umwelt- und Naturschutzpolitik herrschte Stillstand oder Rückschritt.“ So sei in der Klimaschutz-, Verkehrs- und Gewässerschutzpolitik eine Kehrtwende dringend erforderlich. Kröfges forderte die zukünftige Landesregierung auf, ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen sowie besonders überflüssige und umweltschädliche Straßenbauprojekte, wie die Fortführungen der Bundesautobahnen A 1, A 44 und A 46 zu stoppen. Stattdessen müsse dringend in den öffentlichen Personennahverkehr investiert und ein NRW einheitliches Verbundsystem geschaffen werden.
Der BUND-Landeschef kritisierte ferner das unzureichende und zaghafte Vorgehen beim Schutz des Grundwassers sowie bei der Renaturierung der Bäche und Flüsse und forderte die Beibehaltung des Wasserentnahmeentgelts sowie die Weiterentwicklung der Abwasserabgabe. Nur so könnte den europarechtlichen Verpflichtungen für mehr Gewässerschutz nachgekommen werden. „Besonders verheerend hat sich die völlig verfehlte Umorganisation der Umweltverwaltung ausgewirkt. Der personelle Kahlschlag und Verschiebebahnhof führte zu monatelangem Chaos und Demotivierung der Mitarbeiter, das Vollzugsdefizit im Umweltbereich wurde immer größer“, kritisierte Kröfges. So sei zum Beispiel die Überwachung von industriellen Indirekt- Abwassereinleitungen auf ein absolutes Minimum heruntergefahren worden.
Einen radikalen Kurzwechsel fordern die Naturschutzverbände auch im Bereich der Landesplanung und des Freiraumschutzes. „Eine neue Landesregierung muss die Landesplanung zu einem wirksamen Instrument machen, das die übergeordneten gesellschaftlichen Ziele des Freiraumschutzes, der Naherholung, des Klimawandels und der Artenvielfalt für die Allgemeinheit gegenüber den kommunalen Partikularinteressen nicht nur berücksichtigt, sondern ihnen Priorität einräumt“, sagte Mark vom Hofe, Vorsitzender der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt. Insbesondere der fortgesetzte Flächenverbrauch von derzeit 15 Hektar täglich müsse gestoppt werden.
Vom Hofe: „Der Neuversiegelung ein wirksames Mittel entgegenzusetzen, hat vor 20 Jahren schon einmal der damalige SPD-Umweltminister Klaus Matthiesen versucht: Er führte eine Versiegelungsabgabe ein, die schnell wieder kassiert wurde. Genau dies ist aber der Weg, die drastische Reduzierung der Flächen einzuschränken – Neuversiegelung muss als Eingriff entschieden mehr kosten oder in gleicher Weise eine Entsiegelung an anderer Stelle stattfinden.“
Ernüchternd fällt die Bilanz des LNU-Vorsitzenden auch in Bezug auf eines der Prestigeprojekte der Landesregierung aus, dem Alleenschutz. „Was wir erreichen wollten, nämlich mit einer Alleenstraße in Nordrhein-Westfalen, die auch ihren Namen verdient, das Bewusstsein für Alleen als gliedernde Elemente der Landschaft zu wecken, was alle, die Mecklenburg oder Brandenburg oder auch Ostfriesland kilometerlang durch Alleen fahren, mit der Zunge schnalzen lässt – das ist nicht gelungen“, resümierte vom Hofe. Nur da, wo schon prägende Alleen standen und Bestandteil der Alleenstraße wurden, komme dieser Eindruck auf. „Aber das ist leider nur sehr bescheiden – nichts ist touristisch widersinniger, als ein Schild „Deutsche Alleenstraße“ aufzustellen, wo Bäume Mangelware sind, etwa die B 234 im Ennepe-Ruhr-Kreis oder einige Höhenstraßen im Bergischen Land. Hier ist viel zu tun für ein Alleen-Land-NRW.“
Als „oberstes Ziel der künftigen Naturschutzpolitik“ fordern die Naturschutzverbände verstärkte Anstrengungen für Schutz und Förderung der biologischen Vielfalt in NRW. Im internationalen Jahr der biologischen Vielfalt seien in Deutschland noch mehr als 70 Prozent der Lebensräume von Fauna und Flora gefährdet. „Auch in Nordrhein-Westfalen steht die Ampel zum Schutz der biologischen Vielfalt auf rot“, sagte der NABU-Landesvorsitzende Josef Tumbrinck. Um die Ziele und Maßnahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt auf Landesebene schnellstmöglich umsetzen zu können, bedürfe es der Aufstellung einer Biodiversitätsstrategie für NRW bis zum Frühjahr 2011.
„Die seit fünf Jahren vom Umweltministerium gepflegte Kultur der freiwilligen Bündnisse und Dialoge muss ein Ende haben“ forderte Tumbrinck. „Zumindest aus Sicht der Naturschutzverbände ist diese Politik gescheitert. Das "Bündnis für die Natur" tagte mit Ausnahme seiner Gründungsitzung nie mehr, zum "Dialog Wirtschaft und Umwelt" wurden die Naturschutzverbände gar nicht erst zugelassen. Hier erwarten wir von der künftigen Landesregierung einen radikalen Kurswechsel: Wenn man Bürgerengagement will und auch benötigt, muss man uns auch entsprechend Gehör schenken und uns in den wichtigen natur- und umweltpolitischen Fragen einbinden.“ Ins Negativ-Bild passe auch die Kappung von Beteiligungs- und Klagerechten von Bevölkerung und Naturschutzverbänden, die nach der Wahl am 9. Mai dringend revidiert werden müsste.