40 Jahre Vogelschutzrichtlinie in NRW
NABU NRW kritisiert zu zögerliche und mangelhafte Umsetzung auf Landesebene
28. März 2019 - Am 2. April wird die EU-Vogelschutzrichtlinie 40 Jahre alt. Sie ist gemeinsam mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie das entscheidende Instrument für den Erhalt und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt sowohl auf EU- wie auf Bundes- und Landesebene. „Die EU-Naturschutzrichtlinien haben wesentliche Impulse für den Natur- und Artenschutz gesetzt. Doch die vergangenen 40 Jahre zeigen auch, die halbherzige Umsetzung solcher Vorgaben reicht nicht aus, die heimische Artenvielfalt zu erhalten. Hier muss landes- wie bundesweit deutlich mehr getan werden, will man das Artensterben stoppen“, sagte Heinz Kowalski, stellvertretender Vorsitzender und Vogelexperte des NABU NRW.
So ist die Situation im zweitgrößten EU-Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“ besonders katastrophal: eine ganze Reihe wertgebender Brut- und Rastvögel stehen kurz vor dem Aussterben. Dazu gehören vor allem die Wiesenvögel wie Bekassine, Uferschnepfe und Rotschenkel. Die Intensivierung der Landwirtschaft, darunter die Umwandlung der grünlandgebundenen Milchviehwirtschaft in ganzjährige Stallhaltung, schreitet voran und zerstört den Lebensraum vieler Vogelarten der Wiesen und Weiden. Obwohl sich das Land NRW in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren im Jahr 2008 verpflichtet hatte, ein Maßnahmenkonzept zu erarbeiten und umzusetzen, ist seitdem viel zu wenig passiert. „Damit riskiert die Landesregierung die Wiederaufnahme des Vertragsverletzungsverfahrens und Strafzahlungen an die EU“, erklärte Kowalski.
Zwar sei die Richtlinie hinsichtlich der von den Schutzgebietsausweisungen profitierenden Arten durchaus erfolgreich. So haben sich die Bestände von Kranich, Uhu, Weiß- und Schwarzstorch deutlich erholt. Die positiven Entwicklungen einzelner Großvogelarten können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland und insbesondere NRW mit der Umsetzung der Richtlinie auch 40 Jahre nach Inkrafttreten nur sehr zögerlich vorankommt und es vielen Vogelarten eher schlechter als besser geht.
„Bedenkt man zudem, dass die ausgewiesenen Gebiete sich längst nicht alle in einem guten Erhaltungszustand befinden, landes- wie bundesweit in den meisten Schutzgebieten keine wirkliche Beschränkung der forstlichen wie landwirtschaftlichen Nutzung vorgesehen ist, es an Zielvorgaben für den Artenschutz fehlt, erst für einen Bruchteil der Gebieten adäquate Managementpläne vorliegen und sowohl ein Monitoring wie auch die Finanzierung möglicher Maßnahmen nach wie vor unzureichend ist, wird deutlich, wie schlecht es wirklich um den Vogelschutz in NRW bestellt ist“, so Kowalski weiter. Die massiven Bestandseinbrüche bei Rebhuhn, Kiebitz, Uferschnepfe oder Feldlerche in den letzten Jahren machten dies erschreckend deutlich. Selbst ehemalige Allerweltsvögel wie der Star zeigten dramatische Bestandseinbrüche.
Hier bedarf es neben einer dringend erforderlichen Wende in der EU-Agrarpolitik auch einiger klarer Verbesserungen im nationalen Vogelschutz. Auf Landesebene erfordere dies unter anderem, endlich eine adäquate Sicherung aller Vogelschutzgebiete in NRW von EU-weiter Bedeutung (SPAs) umzusetzen. Da, wo immer noch Managementpläne fehlen, müssen diese zügig erstellt werden. Zudem müsse die Fläche einiger SPAs erweitert werden. Kowalski: „Unerlässlich ist es zudem, schädliche Eingriffe in Natura- 2000-Gebiete konsequent zu vermeiden sowie die Einhaltung von Gebiets-und Artenschutzbestimmungen intensiver als bisher zu kontrollieren. Dafür notwendiges Personal in den zuständigen Behörden muss entsprechend aufgestockt werden.“ Um Umwelt- wie Artenschutzdelikten intensiver verfolgen zu können, müsse deshalb auch die von der früheren NRW-Landwirtschaftsministerin Schulze Föcking abgeschaffte Stabsstelle Umweltkriminalität unverzüglich wieder eingerichtet werden.
Absolut kontraproduktiv sei zudem die kürzlich vorgenommene Novelle des NRW-Jagdgesetzes, womit Greifvögel wieder aus dem Naturschutzrecht in das Jagdrecht überführt worden seien. Dies gelte ebenso für zahlreiche weitere Arten, die nach EU-Recht nicht der Jagd unterliegen, wie verschiedene Enten-, Möwen- oder Taubenarten und das sehr seltene Haselhuhn. „Hier ist Wählerklientel bedient worden, auf Kosten des Artenschutzes“, kritisiert der stellvertretende NABU-Landeschef.
Die ausführlichen Forderungen zu notwendigen Verbesserungen in der Umsetzung der Vogelschutz- und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie haben die Naturschutzverbände im Rahmen des EU-Fitness-Checks formuliert:
Hintergrund
Bereits im ersten Umweltaktionsprogramm (UAP) der damaligen EWG hatten die Mitgliedstaaten beschlossen, insbesondere Zugvögel grenzüberschreitend besser zu schützen. Nach einstimmigem Beschluss der Mitgliedstaaten trat dazu am 2. April 1979 die "Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten" in Kraft. Sie sollte der Erkenntnis Rechnung tragen, dass Naturschutz keine Grenzen kennt. Ziel der Richtlinie ist ein besserer Schutz aller in Europa brütenden, rastenden und überwinternden Vogelarten. Dazu wurden strenge artenschutzrechtliche Bestimmungen erlassen, die z.B. die Jagd und den Fang von Vögeln bis auf wenige Ausnahmen verbieten, ebenso bestimmte Jagd- und Fangmethoden. Für besonders bedrohte Arten sowie für die Zugvogelarten schreibt die Richtlinie ein Netz von Schutzgebieten vor, die sogenannten "Special Protection Areas" (SPAs), in Deutschland "Besondere Schutzgebiete" (BSG).
Insgesamt sind bundesweit 742 Vogelschutzgebiete gemeldet, davon 28 in Nordrhein-Westfalen. Mit einer Fläche von circa 165.006 Hektar stehen damit rund 4,8% der Landesfläche theoretisch für den Vogelschutz zur Verfügung. Insgesamt umfasst das Gebietsnetz Natura 2000 (Schutzgebiete nach EU-Vogelschutz- und nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) in NRW rund 287.054 Hektar (überschneidungsfrei), das sind ca. 8,4% der Landesfläche.
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