Tote Gewässer rund um Biogasanlagen
NABU NRW und Fischereiverband NRW informieren: Einleitung von gewässerschädlichen Gärrestesickerwässern in Bäche und Flüsse | Missstände müssen umgehend abgestellt werden | Bevölkerung um Mithilfe gebeten
16. März 2016 - Die Landwirtschaft hat ein großes Problem: ungehinderte und ungeklärte Einleitung gewässerschädlicher Gärrestesickerwässer von Silage- und Mistlagerplätzen gelangen häufig in nahe gelegene kleinere Fließgewässer.
In den vergangenen Wochen sind beim NABU NRW und beim Fischereiverband NRW zahlreiche Meldungen und Bilddokumente über massiven Befall mit Abwasserpilz in kleinen Fließgewässern aus den Kreisen Borken, Coesfeld, Gütersloh, Höxter, Soest, Steinfurt und Warendorf sowie der Stadt Münster eingegangen. Neu ist das Problem nicht. Die Ausmaße, die es mittlerweile angenommen hat, allerdings schon. Gemeinsam fordern der Fischereiverband NRW und der NABU NRW Landesregierung, Untere Wasserbehörden und Landwirtschaft deshalb auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese unhaltbaren Missstände kurzfristig abgestellt werden.
Was versteht man unter "Abwasserpilz"?
Der Abwasserpilz ist eine Gemeinschaft aus verschiedenen Bakterien und ein Anzeiger für stark bzw. sehr stark verschmutze Gewässer (Gewässergüte III-IV). Er bildet sich in Gewässern, in die über einen längeren Zeitraum organische Abwässer eingetragen werden. Häufig sind dies Einleitungen von Sickerwässern und Gärsäften aus landwirtschaftlichen Betrieben, insbesondere von den Silagehaufen von Biogasanlagen oder Viehbetrieben.
Der Begriff Abwasserpilz ist eine irreführende, aber übliche Bezeichnung für Sphaerotilus natans (Sphaerotilus), ein Bakterium, das in mit Abwasser belasteten fließenden Gewässern, Rohren, Wehren, Kläranlagen, Vorflutern und Gräben vorkommt. Weitere echte Abwasserpilze sind z. B. Leptomitus lacteus (Leptomitales) und Fusarium aquaeductuum (Fusarium), die bei hoher Belastung des Abwassers mit organischen Stoffen zur Massenentwicklung kommen und ein "echtes Pilztreiben" verursachen.
Diese Abwässer gelangen über Rohrleitungen oder nach starken Regenfällen durch Abschwemmung von der Oberfläche in das Gewässersystem. Da die Bakterien kälteliebend sind, tritt das Phänomen in den Wintermonaten massiv auf. Die Gewässersohle ist dann von einer weißen bis gelblich-rötlichen schleimigen Schicht bedeckt, die jegliches Leben im Gewässer unmöglich macht. Fische oder andere Gewässerlebewesen auf dem Gewässergrund findet man nicht mehr.
Der Abwasserpilz kann sich nur so lange im Gewässer halten, wie die Verschmutzung andauert. Bei ausbleibender Nahrungsgrundlage bilden sich die Bakterien innerhalb kurzer Zeit zurück. Nach etwa einer Woche ist kaum noch ein Befall zu erkennen, das Gewässer erscheint zwar sauber, ist aber langfristig erheblich geschädigt und biologisch verödet.
Im Kreis Borken verdeutlichte eine exemplarisch durchgeführte Erhebung vom 27.12.2015 bis 19.01.2016 im Gewässersystem der Bocholter Aa, wie eklatant die Auswirkungen tatsächlich sind. Hier kam es allein in diesem Zeitraum an 10 Stellen zu fortwährenden Einleitungen gewässerschädlicher Sickerwässer und Gärsäfte. Diese führten über weite Strecken zur Bildung von zum Teil massivem Befall mit dem Abwasserpilz.
„Insgesamt 90 Biogasanlagen und ca. 2.800 landwirtschaftliche Hofstellen gibt es im Kreis Borken. Auch an Standorten von Viehbetrieben mit Silagelagerung gelangen hier Abwässer häufig ungehindert in Gräben, Vorfluter und Bäche und führen so zu einer dauerhaften Verödung der kleinen Fließgewässer“, sagte Dr. Olaf Niepagenkemper, Beauftragter des Fischereiverbandes NRW für die Bearbeitung der Wasserrahmenrichtlinie. Diese Missstände seien leider in ganz NRW und darüber hinaus zu erwarten. Schon bekannt gewordene Einzelfälle deuteten darauf hin.
Damit rückt die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in den betroffenen Gewässern in weite Ferne. Danach sollten bis Ende 2015 alle oberirdischen Gewässer einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen, bei einem gleichzeitigen Verschlechterungsverbot. „Nicht nur im Kreis Borken wurde dieses Ziel weit verfehlt. Vielmehr erscheint es bis dato wie eine leere Phrase und ehrenamtliches Engagement im Gewässerschutz ist unter den derzeitigen Umständen nicht mehr als eine sinnlose Verschwendung von Lebenszeit“, erklärte Josef Tumbrinck, Vorsitzender des NABU NRW.
Der Fischereiverband NRW und der NABU fordern daher eindringlich, dass diese Missstände unverzüglich abgestellt werden. Entsprechende Möglichkeiten hier ordnungsrechtlich einzuschreiten, böte unter anderem die aktuelle Novellierung des Landeswassergesetzes. Hier könnten für Silolagerstätten an Biogasanlagen und anderen landwirtschaftlichen Betrieben Sonderprüfungen eingerichtet werden, die auch die in der Nähe der Betriebe liegenden Gräben und Fließgewässer mit einbeziehen. Die vorgesehenen Gewässerrandstreifen in einer Breite von 5 m, die 2022 eingerichtet werden sollen, falls die Gewässer bis dahin keinen guten Zustand erreicht haben, seien zwingend zeitnah umzusetzen.
Helfen Sie mit!
Zum Schutz unseres Wassers und unserer Gewässer wenden sich der NABU NRW und der Fischereiverband NRW daher an alle aufmerksamen Mitbürger. Helfen Sie mit bei der Spurensuche nach dem Abwasserpilz!
Entdecken sie einen Befall mit Abwasserpilz oder aber auch eine andere Gewässerverunreinigung, melden sie diesen umgehend der Unteren Wasserbehörde. Nähere Informationen erhalten sie dazu auch beim NABU NRW und beim Fischereiverband NRW.
Eine Karte aller Biogasanlagen findet sich hier: www.energieatlasnrw.de
Für Rückfragen:
Dr. Olaf Niepagenkemper, Beauftragter des Fischereiverbandes NRW für die Bearbeitung der Wasserrahmenrichtlinie, Tel.: 0251/482710, niepagenkemper@lfv-westfalen.de
Josef Tumbrinck, Vorsitzender NABU NRW, 0171 3867379
Prof. Dr. Anna von Mikecz, NABU-Expertin für Ökotoxikologie, Anna.vonMikecz@NABU-NRW.de